„Evet” oder „Hayır”? Für oder gegen das Erdogansche Präsidialsystem? Oder hart gesagt: Soll Erdogan Diktator werden? Vor dieser Frage standen Millionen Türken und sie haben entschieden: Erdogan soll mehr Macht bekommen. Die Reaktionen im Netz sind ebenso eindeutig,
Am heutigen Sonntag konnten fast 60 Millionen Menschen eine „neue Türkei” wählen. Das Ergebnis: Denkbar knappe 51,3% haben sich für das Erdogan-System entschieden. Entgegen der Überschrift wurde natürlich nicht direkt ein Diktator Erdogan gewählt. Konkret wurde für eine neue Verfassung abgestimmt, die es Recep Tayyip Erdoğan ermöglicht, bedeutend mehr Macht auszüben. Mehr als in anderen bekannten Präsidialsystemen, wie etwa in der USA.
5 Dinge, die sich jetzt ändern werden:
- Erdogan übernimmt das Amt des Ministerpräsidenten und ist damit Alleinherrscher
- Erdogan kann per Dekret eigene Gesetze erlassen — ohne Parlamentsbeschluss
- Erdogan kann das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen
- Erdogan kann höchste Richter selbst ernennen
- Erdogan bleibt Oberbefehlshaber der Streitkräfte — ohne Parlamentsbeschluss
5 Dinge, die sich jetzt ändern können:
- Erdogan kann die Todesstrafe einführen
- Weiterer Niedergang der Wirtschaft, insbesondere der Tourismusbranche
- Abwanderung von Fachkräften ins Ausland
- Weitere Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit
- Die Türkei wird unter diesen Umständen die EU unmöglich beitreten können
Das erfolgreiche Referendum wird dazu führen, dass die bereits enorme Machtfülle Erdogans zementiert und erweitert wird. Eine Gewaltenteilung in der Türkei ist nicht mehr gegegeben. Zu allem Überfluss bedeutet das knappe Ergebnis auch eine massive Spaltung im Land.
Hat Europa mit Erdogan einen neuen Diktator? Reaktionen aus dem Netz:
Dass die türkische Bevölkerung sich so entschieden hat, ist kaum überraschend. Erdogan und seine AKP war in den türkischen Medien omnipräsent, Opposition und die „Nein”-Kampagnen dagegen so gut wie nicht sichtbar.
Bei der Wahl ging laut Wahlbeobachtern zudem nicht alles mit rechten Dingen zu. So gibt es Meldungen von doppelten Wahlen und ungültigen Wahlzetteln:
Manche haben auch eine naheliegende Vermutung, weshalb das Referendum in vielen Regionen so eindeutig für Erdogan ausging:
Immer diese Landbevölkerung: Diese Grafik zeigt eindrucksvoll wie konservativ die Türken gewählt haben. Erinnerungen werden wach.
Noch deutlicher wird es mit Blick auf die drei größten Städte der Türkei, also Istanbul, Ankara und Izmir, in denen Erdogan verloren hat:
Ebenso eindeutig fiel das Ergebnis in Deutschland aus. Fast 64% der Türken haben hierzulande für die Abschaffung der Demokratie in der Türkei gestimmt:
Andere meinen unterdessen einen direkten Zusammenhang mit Adolf Hitler herstellen zu müssen:
Es wird aber auch Länder geben, die die Entscheidung der Türken begrüßen werden:
Fakt ist: Schon vor dem Referendum wurde von vielen Experten die Legitimierung einer Abstimmung angezweifelt. Sie beruhe auf keiner demokratischen Grundlage. Schließlich befinden sich wichtige Oppositionsführer im Gefängnis, und es herrscht keinerlei Presse- und Meinungsfreiheit. Somit sei das Referendum nur eine Pseudo-Legitimation. Diesen Standpunkt vertritt auch die größte Oppositionspartei CHP und will die Wahl anfechten — auch aus ganz aktuellen Gründen:
Einen Pluspunkt wird die Verfassungsänderung aus europäischer Sicht haben: Das verbale Aufrüsten und Nazivergleiche gegenüber uns und anderen EU-Staaten könnten nun ein Ende haben. Schließlich waren die meisten Provokationen das Ergebnis des Referendum-Wahlkampfes.
Ein Pluspunkt, der angesichts der bevorstehenden Entwicklung in der Türkei eher untergehen dürfte.