Nach Echo-Skandal: Wie viel Sexismus steckt in der Musik wirklich? [Kommentar]
„Beschämend”, „Schande”, „Skandal”. Bereits die Echo-Nominierung des Albums „JBG3” von Kollegah und Farid Bang sorgte für einen Aufschrei — vor allem in den sozialen Medien. Jetzt haben sie den Preis gewonnen und Deutschland dreht durch. Dabei ist die deutsche Musikszene mehr von Sexismus geprägt, als wir annehmen und die Texte von Kollegah & Co. keine Ausnahme. Auszeichnungswürdig sind sie deshalb noch lange nicht.
Eigentlich ist es eine Binsenweisheit: Themen wie Antisemitismus, Homophobie und Sexismus erfordern einen respekt- und würdevollen Umgang — erst recht in der Kultur. Provokationen und Zweideutigkeiten gehören nicht dazu. Und doch gibt es sie, die zahlreichen provokanten Texte, wie sie vor allem im Hip-Hop immer wieder zu hören sind. Etwa Zeilen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen” oder „Danach fick’ ich deine Ma, die Flüchtlingsschlampe”. Auszüge aus dem Titel „0815” des frisch gekürten Echo-Gewinners Kollegah.
Solche Texte gehören weder ausgesprochen, noch niedergeschrieben und erst recht nicht veröffentlicht. Schließlich handelt es sich hierbei nicht um Satire, sondern um Texte, die viele junge Leute ernst nehmen. Viele Musiker kritisieren die Entscheidung der Echo-Macher, Tote Hosen-Sänger Campino tat dies sogar offen auf der Bühne am Abend der Echo-Verleihung. Selbst Bundesaußenminister Heiko Maas schaltete sich ein und nannte die Preisvergabe „beschämend”, erst recht am Holocaustgedenktag. Doch es stellt sich die Frage, wie neu dieses Phänomen wirklich ist.
Sprachliche Entgleisungen und Sexismus nur im Deutschrap?
Die „#MeToo“-Debatte und die Diskussionen um Harvey Weinstein, Dieter Wedel und jetzt auch Kollegah machen deutlich: Das Thema Sexismus ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Doch wie sehr nehmen wir das Thema wirklich ernst? Nehmen wir überhaupt wahr, dass wir alle Konsumenten von Alltagssexismus sind? Ein Blick in die Charts der vergangenen Jahre zeigt, dass insbesondere chauvinistische und frauenverachtende Songs oft zum guten Ton gehörten und offenbar immer noch gehören. Wenngleich Kollegah und Farid Bang mit ihrem Titel „0815” den Bogen weit überspannt haben. Natürlich darf Straßen- und Gangstarap naturgemäß mehr als „herkömmliche” Popmusik.
Doch Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Ausgerechnet das Genre, das am ehesten auf heile Welt macht, ist von sexistischen Aussagen geradezu unterwandert: So etwa bei Roland Kaiser und der Zeile „Joana, geboren um Liebe zu geben” oder Mickie Krauses „Zehn nackte Frisösen”, Almklausi mit „Deine Schwester ist ein richtig geiles Luder” oder Peter Wackels „Party, Palmen Weiber und ’n Bier”. Die Liste ist unendlich. Erst kürzlich erreichte mich eine Pressemitteilung für den Song „Sie ist vorne gut gebaut” von Jack Gelee, einer Cover-Version von „Alles nur geklaut” von den Prinzen. Sexismus ist Alltag in der Musik und wir alle sind Konsumenten. Oft freiwillig, viel öfter jedoch unfreiwillig. Klar ist auch: Die deutschsprachige Musik ist nicht sexistischer als der Rest der Gesellschaft oder um es klarer zu sagen: Es ist ein Abbild der Gesellschaft.
Wieso regen wir uns also auf?
Die Antwort auf diese Frage sollte eindeutig ausfallen: Dass sexistische Songs veröffentlicht werden — okay. Es gilt die Meinungs- und Kunstfreiheit. Nur die Logik, dass diese Songs auch noch ausgezeichnet werden, erschließt sich mir nicht. Dazu kommt, dass es hier um mehr als verbalen Sexismus geht. Verhöhnung, Antisemitismus, Rassismus, Terrorverherrlichung, Aufruf zur Gewalt — darf Musik, insbesondere der kommerzielle Straßenrap, wirklich alles? Wo endet also die Meinungs- und Kunstfreiheit und wo beginnt der Tatbestand der Volksverhetzung? Am Ende bleiben nach dieser inzwischen wieder abklingenden Debatte mehr Fragen als Antworten.
Nur eine Antwort sollten wir auf die folgende Frage bereits jetzt geben: Sollten Künstler mit zweifelhaften Texten, wie die oben genannten, auch noch ausgezeichnet werden? Meiner Meinung nach nein. Unter dem Deckmantel Mainstream und Massengeschmack ist sehr viel Platz — auch für Grütze. Das ist auch gut so. Eine Auszeichnung dagegen ist nicht nur skandalös, sondern verantwortungs- und anstandslos.