Sein Name ist Herr Becker: Ebbis Einwurf zum 50. Geburtstag von Boris Becker
Wenn Boris Becker Geburtstag hat, ist dies in Deutschland und weit über die Grenzen hinaus DAS Gesprächsthema Nummer 1. Das war schon früher so, doch die Art und Weise der Berichterstattung hat sich über die Jahrzehnte (leider) verändert. Ob runde Geburtstage, Gerüchte über finanzielle Probleme oder ein neuer Job: Positive wie negative Anlässe scheinen ein Freifahrtsschein dafür zu sein, das einstige Wunderkind mit Häme und Spott zu überschütten. Ich fordere: Sei fair zu unseren Sporthelden! Und zu Herrn Becker, der nicht „Euer Boris” ist …
„Seit über 30 Jahren lebe ich öffentlich. Dafür zahlt man einen Preis”, waren die Worte, die bei den Zuschauern der bereits ausgestrahlten TV-Doku (ARD) Boris Becker — Der Spieler vermutlich am ehesten hängen geblieben sind. Als Boris Becker kürzlich zum „Head of Men’s Tennis” im DTB ernannt wurde, traten sofort die ersten Kritiker auf den Plan, bevor wir alle überhaupt wussten, was es mit diesem Posten auf sich haben könnte. „Wer braucht schon ein Boris Becker Comeback?” oder „Der will doch nur Kohle, um seine Finanzen aufzubessern!”, war in den sozialen Netzwerken zu lesen. Falsch: Die ehemalige Nummer 1 der Welt arbeitet ehrenamtlich. Punkt. Und unabhängig davon gilt: Fair geht vor – im Leben, im Sport und im Umgang mit unseren Idolen.
Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass es jede Menge andere, positive Stimmen zu vernehmen gab. Stimmen, die den einstigen Tennisstar zu seinem neuen Posten beglückwünschten. Stimmen, die sich freuten, dass es zu einem Boris Becker Comeback in Deutschland kommt. Und Stimmen, die dem Leimener abnahmen, wenn er sagte: „Ich liebe diesen Sport, ich liebe dieses Land.” Als der dreimalige Wimbledon-Champion im August auf Krücken das Podium betrat, um über seine neue Aufgabe zu sprechen, verfolgte ich das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Mit Hochachtung blieb mein Blick an einem der größten Sport-Helden haften, den dieses Land jemals gesehen hat. Mit Erschrecken – und einem Hauch von Mitleid – nahm ich jedoch zur Kenntnis, dass eine der ersten Fragen der Journalisten darauf abzielte, dass Beckers Ruf in Deutschland schlechter sei als im Ausland. Wow, was für eine neue Erkenntnis, dachte ich bei mir!
Warum lebt Becker in England, wenn er Deutschland liebt?
Embed from Getty ImagesZugegeben: Nicht jeder wird dieses Szenario so empfunden haben. Viele werden sich vielmehr die Frage gestellt haben, warum Boris Becker in England lebt, wenn er Deutschland doch angeblich so sehr liebt. Auch in der Dokumentation zum 50. Boris Becker Geburtstag ging der Sportler auf dieses Thema ein. Aus meiner Sicht bedarf es für die Beantwortung gar nicht allzu viel Fantasie: Wie so viele andere schwarz-rot-goldene Sport-Idole wird auch Becker hierzulande nicht die Anerkennung entgegengebracht, die er verdient hätte. Es geht nicht darum, ihn täglich zu hofieren, sondern darum, nicht zu vergessen, wie viele tolle Momente uns dieser Mann einst beschert hat. Der Name Boris Becker steht dabei stellvertretend für eine Reihe anderer Persönlichkeiten. Ob „Bobbele” oder „Loddar”: Ihnen allen wird im Ausland mehr Respekt entgegengebracht als in ihrem Geburtsland.
Nicht nur zum Boris Becker Geburtstag: Wie sich die Prioritäten verschoben haben …
Wir alle haben Becker zugejubelt, als er als Jungspund damals Wimbledon gewonnen hat. Wir alle haben Lothar Matthäus einst gefeiert, weil er uns zum dritten WM-Titel geführt hat. Heute haben die meisten nur noch Hohn und Spott für ihre einstigen Idole übrig. Was mich daran ärgert? Dass das Interesse an den genannten Personen geblieben ist, die Prioritäten sich jedoch verschoben haben. Nach wie vor sind alle Kameras auf Becker und Co. gerichtet. Doch fieberten wir früher den nächsten Erfolgen unserer Sportstars entgegen, warten wir heute gebannt auf den neuesten Ausrutscher – nur um uns in unserer Meinung bestätigt zu fühlen. Es ist die pure Sensationslust und es ist ein leichtes, diese nur auf die Medien zu schieben. Das mag zum Teil stimmen, doch es muss immer auch eine Nachfrage geben. Ich will mich davon überhaupt nicht freisprechen. Jeder trägt eine gewisse Sensationsgier in sich. Doch man sollte die Dinge nicht vermischen.
Becker-Witze sind OUT, Becker-Mobbing ist IN
Diesem Argument könnte man nun widersprechen, indem man auf die satirischen Beiträge und Parodien verweist, die zu Zeiten von Becker und Matthäus Gang und Gäbe waren. Doch es gibt Unterschiede: Parodiert zu werden, ist für viele eine Ehre. Doch wann wird man parodiert? Richtig, wenn man ganz oben steht. Becker-Witze waren einst IN. Wann hast du zuletzt einen Becker-Witz gehört? Das dürfte lange her sein, da der einstige Star heute für viele OUT ist. Diese Einschätzung ist jedem selbst überlassen. Allerdings empfinde ich es als eine Art Doppelmoral, wenn er just dann wieder IN sein soll, sobald eine neue Negativschlagzeile in Umlauf gekommen ist. Früher erzählten wir Becker-Witze, heute warten wir nur darauf, dass die Person selbst für einen neuen „Witz” sorgt.
Warum wird Maradona verehrt und Matthäus nicht?
Bist du schon einmal durch die Gassen von Neapel spaziert? Falls ja, dann werden dir zwei Dinge aufgefallen sein, die es dort im Überfluss zu geben scheint: den Smog zum einen und die Diego-Maradona-Plakate zum anderen. Was hat das mit Becker, Matthäus und Co. zu tun? Ganz einfach: Dieses Beispiel zeigt, wie andere Länder mit ihren einstigen Helden umgehen. Von 1984 bis 1991 kickte er beim ortsansässigen SSC. Obwohl er dort nicht einmal das Licht der Welt erblickte, war der Argentinier immer einer von ihnen. Noch heute, viele Jahre später, wird er von den Neapolitanern verehrt – obwohl Maradona erwiesenermaßen alles andere als ein Saubermann ist. Matthäus hingegen hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Doch da er für den Geschmack der Öffentlichkeit zu oft geheiratet hat, kann er kein Fußball-Experte und erst recht kein guter Trainer sein. Interessant …
Embed from Getty ImagesLetzteres passt auch eins-zu-eins zu der Personalie Boris Becker: Einige Außenstehende trauen Boris Becker die neue Aufgabe im DTB nicht zu. Doch wie können das Menschen beurteilen, die ihre Informationen zu der jeweiligen Persönlichkeit seit Jahrzehnten nur noch diversen Klatschblättern entnehmen? Ohne die betreffende Person hier nennen zu wollen, hörte ich im Zusammenhang mit Boris Becker kürzlich diesen Satz: „Das ist das Gute an Deutschland: Du kannst so dumm sein, wie du willst: Wenn du im Sport mal was konntest, kommst du immer irgendwo unter.” Ich würde diesen Satz anders formulieren: „Das ist das Schlechte an Deutschland: Du kannst so erfolgreich gewesen sein, wie du willst: Wenn du im Sport mal was konntest, wirst du dein Leben lang den Neid der Bevölkerung zu spüren bekommen. Alle warten auf deinen nächsten Fehltritt und deine Kompetenzen werden angezweifelt – ob du deine Qualitäten bereits unter Beweis gestellt hast oder nicht.”
Positive Reaktionen auf das Boris Becker Comeback nur aus Tennis-Kreisen!
Es gibt keinen Zweifel: Boris Becker ist in seinem Sport eine absolute Koryphäe. Es gibt einen Grund, warum ihn der damalige Weltranglistenerste Novak Djokovic in sein Boot holte. Er hat ihn unübersehbar noch besser gemacht. Mich hat es nicht überrascht, dass die Reaktionen auf das Boris Becker Comeback in Deutschland aus Tennis-Kreisen durchweg positiv war. Davis Cup-Spieler Philipp Petzschner brachte es auf den Punkt: „Es gibt wenige Menschen auf diesem Planeten, die so viel Ahnung vom Tennis haben wie Boris.” Was mich (leider) ebenfalls nicht überrascht hat? Dass Menschen, die keine Ahnung vom Tennis haben, meinen, Becker die Qualitäten auf diesem Gebiet absprechen zu dürfen. Menschen und Klatsch-Reporter, die sich einst damit gebrüstet haben, dass „unser Boris” für Deutschland in Wimbledon gewonnen hat und sich jetzt darüber aufregen, dass der 50-Jährige mit den Worten „Ich bin nicht Euer Boris” die Dinge geraderückt.
Embed from Getty Images„Head of Klatschpresse” oder „Head of Tennis”?
Niemand mag es, wenn Privates und Berufliches vermischt wird. Daher sollten wir auch im Umgang mit unseren Sport-Helden fair bleiben. Die Kompetenzen eines Tennis-Experten anzuzweifeln, weil dieser Schulden gemacht hat, ist völlig sinnfrei. Natürlich darf jeder seine freie Meinung sagen, doch man sollte sich schon entscheiden: Bin ich der „Head of Klatschpresse” oder der „Head of Tennis”?
Über den Autor
Dennis Ebbecke ist seit vielen Jahren als Sport-Redakteur tätig. Inzwischen arbeitet er als freischaffender Journalist, veröffentlicht Artikel, Interviews und Kommentare in diversen Print- und Online-Medien. Als fester Redakteur von 2GLORY präsentiert Ebbecke ab sofort seine neue Rubrk „Ebbis Einwurf”. Diese widmet sich vor allem sportlichen Ereignissen und Entwicklungen.
„Ebbis Einwurf ist immer als Kommentar zu verstehen, der zum Nachdenken anregen, aber auch polarisieren soll. Ich vertrete hier meine persönliche Meinung, die natürlich auch Gegenmeinungen nach sich ziehen und zu Diskussionen führen darf. Zudem ist es mir ein Anliegen, in den kommenden Wochen und Monaten auch Sportler oder Sportarten zu beleuchten, die nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen”, erklärt der Autor dieser neuen Rubrik.