Der Fußball soll gerechter werden: Mit dieser auf den ersten Blick löblichen Idee wurde zur Saison 2017/18 der Videobeweis eingeführt. Nach ziemlich genau einem halben Jahr seit dem VAR-Debüt in der Bundesliga fordere ich: Videobeweis abschaffen — und zwar sofort! Diese Haltung mag nicht neu sein, doch sie hat sich (zumindest bei mir) verändert. Es geht nicht darum, ob der Video-Assistent mit seiner Entscheidung richtig liegt oder falsch. Der Videobeweis nimmt dem Fußball das, was ihn ausmacht: die Emotionen. Ich möchte mich wieder über ein Tor freuen können, ohne darauf warten zu müssen, ob es vielleicht wieder zurückgenommen werden könnte.

Am 18. August 2017 startete die neue Bundesliga-Saison mit einer Innovation, auf die viele Fußballfans sehnsüchtig gewartet hatten: die Einführung des Videobeweises. Endlich Gerechtigkeit, endlich keine Schiedsrichter-Diskussionen mehr: So die Theorie, die Praxis zeichnete jedoch alsbald ein völlig anderes Bild. Nach einem halben Jahr voller technisch herbeigeführter Aufs und Abs sind sich zumindest in einem Punkt alle einig: Der Videobeweis hat nicht dazu geführt, dass die Diskussionen um Deutschlands Unparteiische nachgelassen haben. Das Gegenteil ist der Fall: Nach jedem einzelnen Spieltag wird heftig darüber debatiert, in welcher Spielsituation das Einschalten des Mannes aus Köln erforderlich war und in welcher nicht.

Im Fußball spielen aber Fingerspitzengefühl und Tatsachenentscheidungen eine Rolle. Manchmal geht es um Milimeter-Situationen (etwa bei Abseits), die selbst eine imaginäre Linie nicht zu entschlüsseln vermag. Manchmal muss ein Schiedsrichter seinem Gespür folgen, ob der jeweilige Spieler einen Platzverweis verdient hat oder nicht. Nur der Unparteiische ist Teil des Geschehens, nur er kann die Nebengeräusche hören und im richtigen Moment Zeichen setzen — der Assistent vor dem Bildschirm kann dies nicht.

Videobeweis abschaffen: Darum ist es höchste Zeit!

Nach einem halben Jahr des Testens bin ich dafür, über das Thema Videobeweis ein Ei zu schlagen. Nicht etwa, weil sich die Schiri-Diskussionen gehäuft statt minimiert haben. Nicht etwa, weil es immer noch klare Fehlentscheidungen gibt und von flächendeckender Gerechtigkeit kaum die Rede sein kann. Auch nicht, weil DFB und DFL mit ihrem Kurs keine klare Linie vorgeben. Nein! An diesen Punkten wird und kann sich auch ein weiteres halbes Jahr später nichts ändern, weil auch mit technischen Hilfsmitteln Menschen die Entscheidungen treffen müssen. Und Menschen machen — Gott sei Dank — nun einmal Fehler.

Natürlich können sich gewisse Mechanismen zumindest geringfügig einspielen. Doch ist es das wert? Lasst uns nicht darauf warten und unserem geliebten Fußball das letzte Licht ausknipsen. Das schaffen der internationale Transfer-Wahnsinn, die undurchsichtige Debatte um die 50+1‑Regel und die Zersplitterung der Spieltage (Stichwort: Montagsspiele) schon von ganz alleine. Der Grund, warum man den Videobeweis abschaffen sollte, ist ein ganz anderer: Es geht nicht um Gerechtigkeit, es geht um Emotionen!

„Das ist die schlimmste Entscheidung für Fußballer”

Ich möchte nicht jeden Spieltag aufs Neue über vermeintliche Wahrnehmungsfehler und Video-Assistenten sprechen, sondern ich möchte einfach über Tore freuen oder ärgern dürfen. Ist das wirklich zu viel verlangt? Das beste Beispiel lieferte am 24. Spieltag die Partie zwischen dem 1. FC Köln und Hannover 96. In der Nachspielzeit erzielte Claudio Pizarro das für den abgeschlagenen Tabellenletzten erlösende 2:1‑Siegtor, der Jubel im Stadion war grenzenlos — bis der Schiedsrichter den Treffer aufgrund einer Abseitsstellung zurücknehmen musste. Der Video-Assistent lag richtig, keine Frage.

Effhez-Spieler Dominique Heintz brachte es nach dem Spiel treffend auf den Punkt: „Das ist die schlimmste Entscheidung für Fußballer, wenn du für fünf Minuten an der Eckfahne jubelst, den Ball schon zum Anstoß mitnimmst und dann kommt der Funk aus Köln und das Tor wird aberkannt.” Dem Fan geht es übrigens nicht anders. Daher plädiere ich für: Videobeweis abschaffen! Im Fußball gleicht sich in der Regel irgendwann alles aus. Und ja, das ist eine typische Fußballerfloskel, für die man Geld ins Phrasenschwein zahlen müsste. Diesen Preis zahle ich gerne, denn Floskeln gehören zu unserem  Volkssport Nummer 1 wie Bratwurst und Bier und wie Freud und Leid. Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift — und dabei muss es bleiben — für die Emotionen, für die Liebe zum Spiel, für den Fußball!

Über den Autor

Ebbis Einwurf

Dennis Ebbecke ist seit vielen Jahren als Sport-Redakteur tätig. Inzwischen arbeitet er als freischaffender Journalist, veröffentlicht Artikel, Interviews und Kommentare in diversen Print- und Online-Medien. Als fester Redakteur von 2GLORY präsentiert Ebbecke hier seine Rubrk „Ebbis Einwurf”. Diese widmet sich vor allem sportlichen Ereignissen und Entwicklungen.

„Ebbis Einwurf ist immer als Kommentar zu verstehen, der zum Nachdenken anregen, aber auch polarisieren soll. Ich vertrete hier meine persönliche Meinung, die natürlich auch Gegenmeinungen nach sich ziehen und zu Diskussionen führen darf. Zudem ist es mir ein Anliegen, in den kommenden Wochen und Monaten auch Sportler oder Sportarten zu beleuchten, die nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen”, erklärt der Autor dieser neuen Rubrik.

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