Projekt Retro: Alte Rechner fürs Web 4.0
Retro und Vintage haben unheimlich viele Fans und Stilrichtungen. Der eine liebt alte Autos und viele drehen sich einem solchen automobilen Schätzchen auch gerne hinterher.
Wer einen alten Küchenschrank aus den 1950ern kaufen will, bezahlt dafür Höchstpreise und über eine Szene, die die Erzeugnisse der Urmacherkunst vergangener Epochen sammelt, musst man erst gar nicht anfangen. Der Mensch liebt alte Dinge. Aber Computer fristen ein Schattendasein. Liegt es an der Elektronik? Eher nicht, schließlich gibt es ja auch Fans alter Radios, alter Röhrenfernseher. Vielleicht lässt es sich mit der Technik an sich erklären. PCs unterliegen nun einmal einem wesentlich rascheren Entwicklungsschub als es viele andere Dinge tun und können dank gesteigerter Anforderungen häufig selbst dann kaum noch gebraucht werden, wenn sie denn noch laufen. Demnach kein Oltimer-Kennzeichen für alte Rechenknechte? Oh doch. Denn mit den richtigen Kniffen kann man aus einer alten Hülle einen durchaus für die heutige Zeit noch tauglichen Rechner machen. Wenn man bereit ist, ein paar einfache Umwege zu gehen.
1. Tower oder Laptop?
Dabei sollte man sich zunächst mal mit der gewünschten Bauform auseinandersetzen, denn damit steht und fällt sehr vieles.
- Tower-PCs, bzw. in gewissen Grenzen auch Desktop-PCs (das sind die, auf denen der Bildschirm steht), sind tendenziell besser für die technische Seite der Verjüngungskur geeignet, weil diese Rechner durch ihre Bauweise von Anfang an dafür ausgelegt wurden, durch neue Laufwerke, Chipsätze usw. aufgerüstet zu werden. Aber den Towern mangelt es auch ein wenig am Retro-Charakter, weil sie eben in den meisten Fällen nur eine weißgraue Hülle sind und zudem zwingend einen ebenso nostalgischen Bildschirm benötigen. Überspitzt formuliert: Jeder kann einen alten Tower entkernen und aufbauend auf einem brandneuen Mainboard einen PC auf 2018er Niveau integrieren.
- Notebooks/Laptops sind, was die Technik anbelangt, schlechter zu upgraden. Normale PC-Bauteile können hier i.d.R. nicht verbaut werden und so manches ist auch proprietär für dieses eine Modell gefertigt. Aber durch ihre Dicke, die Bildschirme im anderen Format, vielleicht sogar einen herrlich-altmodischen Trackpoint statt eines Maus-Touchfeldes, strömen diese PCs einfach wesentlich mehr Retro-Charme aus. Hier ist schon alles verbaut, was man zur Bedienung braucht. Man muss also nicht noch zusätzlich alte Tastaturen, Mäuse usw. mit den damaligen Anschlüssen bzw. Adaptern suchen.
Ergo: Natürlich könnte man einen alten Ford Capri kaufen, einen brandneuen Motor einbauen und innen ebenfalls alles auf moderne Standards bringen. Aber wäre das dann noch sonderlich Retro? Eher nicht. Daher ist der Laptop die bessere Wahl, auch wenn man vielleicht nicht mehr viele Teile dafür bekommt.
2. Woher nehmen?
…wenn nicht stehlen? Das ist die Frage. Hier gibt es nur eine Antwort: eBay und ähnliche Seiten. Alte IBM Thinkpads sind ebenso tauglich wie Toshibas oder solche von HP. Im Zweifelsfall hilft der Suchbegriff „Laptop + Jahreszahl“. Dabei sollte das Baujahr allerdings nicht früher als ca. 1995 liegen. Davor sind die Rechner in ihrer Leistung tatsächlich zu schwach. Ziemlich schmerzfrei geht es, wenn der PC in diesem Jahrtausend gebaut wurde. Dass das Gerät funktionstüchtig sein sollte, versteht sich von selbst.
Wichtig: Wer mit dem Rechner ohne wesentliche Einbuße ins Netz will, sollte zwingend auf Geräte mit USB 2.0‑Anschluss setzen, die kamen erst 2002 auf den Markt. Hintergrund: Die einzige Option, um auf alten Geräten schnell zu surfen, ist die Installation eines USB-WLAN-Sticks. Früher waren Wireless-Adapter in Notebooks selten verbaut; WLAN-PCMCIA-Karten, die man damals bekam, sind heute vom Markt praktisch gänzlich verschwunden. Hat das Notebook jedoch USB 2.0, funktioniert die Sache per Stick problemlos. Beim älteren USB 1.0 kann der Stick zwar auch funktionieren, wird aber auf eine Datenrate von maximal 12Mbit/s heruntergebremst, ein theoretischer Wert, der in der Realität weit darunterliegen wird.
3. Schrubben, Schrubben
Der PC wurde gefunden, gekauft und geliefert. Jetzt liegt er vor einem und hat sogar gezeigt, dass er noch bootet und wird wahrscheinlich ziemlich altersgemäß eingestaubt sein. Doch das ist nicht schlimm, das kann man reinigen.
1. Den Akku entfernen
2. Alle Deckel an der Unterseite (etwa Arbeitsspeicher) aufschrauben
3. Mit einem weichen, langen Pinsel und einer Druckluft-Sprühdose allen Staub im Innenraum, auf Lüftern, Chips und Prozessoren entfernen, das macht man am besten draußen
4. Das Äußere des Rechners mit einem fusselfreien Tuch und normalem Glasreiniger gut abreiben (Reiniger immer zuerst auf den Lappen, nicht den Laptop)
Falls der Rechner danach immer noch schmutzig wirkt, kann man ganz vorsichtig mit etwas Autopolitur ans Werk gehen und damit das Gehäuse abreiben. Anschließend wird alles wieder zusammengebaut.
Tipp: Wer noch den Arbeitsspeicher aufrüsten will, muss ebenfalls Gebrauchtes kaufen. Bis etwa 2001 kamen dazu SDRAM-Module zum Einsatz, danach DDR-SDRAM, im Zweifelsfall wird es aber auf dem alten RAM-Baustein in Form eines Aufklebers stehen.
4. Das Betriebssystem
Auf dem alten PC wird wahrscheinlich ein Produkt aus der Parade der frühen Windows-Betriebssysteme installiert sein. Das kann man getrost vergessen, diese Systeme sind nicht mehr mit heutigen Programmen, etwa Browsern, kompatibel und ihnen fehlen auch über ein Jahrzehnt an Sicherheitsupdates.
Um den Rechner zeitgemäß nutzen zu können, braucht es daher ein modernes, schlankes Betriebssystem. Das findet man in Form des quelloffenen, kostenlosen Pixel OS, einer Linux-Distribution, die extra für sehr einfache/alte Rechner entworfen wurde.
Pixel OS enthält dabei alles, was der PC braucht, inklusive Browser, Office-Tools und sogar Spielen. Wer mag, kann die originale Windows-Installation ganz unangetastet lassen und Pixel über einen USB-Stick booten/laufen lassen. Hat der Rechner jedoch nur einen USB-Slot, sollte man es installieren. Das kann man entweder, indem das alte Windows einfach über-installiert wird oder aber, allerdings mit etwas Mehraufwand, indem man ein Multi-Boot-System erstellt, auf dem beide Systeme parallel existieren.
Das alte Windows einsatzbereit zu belassen, hat dann auch einen echt nostalgischen Wert: Viele alte Spielerklassiker der Jahrtausendwende (etwa die beliebte „Anno“-Aufbauspielreihe) laufen auf heutigen Systemen nicht mehr oder nur nach Installation von Emulatoren. Mit einem originalen alten Windows 98 oder XP indes kann man sofort loslegen.
5. Der Speicher
Was ist mit der Festplatte? Diese Frage dürften sich viele stellen, die einen so alten PC betreiben wollen. Die Antwort: Solange ein Check-Tool wie etwa CrystalDiskInfo eine gute Plattengesundheit attestiert, gibt es keinen Anlass zu Sorge oder Austausch. Was die Kapazität anbelangt, muss man auch keine Angst haben. Nehmen wir das damals (2002) als „großzügig“ betitelte Dell Inspiron-8200 Notebook. Das hatte 40GB. Günstigere Notebooks aus dieser Epoche kamen auf die Hälfte.
In Anbetracht dessen, dass man mit diesem Retro-PC ja nicht das machen wird, was man mit einem modernen Nachfahren tun würde, reichen solche Werte im unteren zweistelligen Gigabyte-Bereich völlig aus. Immer bedenken, auch heute kommen viele Smartphones mit ähnlichen internen Speicherwerten.
6. Der Akku
Eine schlechte Nachricht gibt es allerdings. Der Akku. Ganz gleich, ob der vorherige Besitzer ihn bis zum Verkauf noch fleißig nutzte oder ob er samt PC für einige Jahre auf dem Speicher lag, er wird in jedem Fall schwere Schäden davongetragen haben. Was die Kapazität anbelangt, dürften kaum noch mehr als zehn Minuten pro Ladung darin stecken, das war lange bevor sich Lithium-Ionen-Akkus verbreiteten, die keinen Memory-Effekt haben.
Ergo sollte man sich darauf einstellen, nur im Netzbetrieb arbeiten zu können. Der Akku sollte jedoch trotzdem in seinem Schacht stecken, als Puffer. Falls es sich um einen damaligen High-End-Rechner handelt, kann es sogar sein, dass man heute im Netz noch modernen Nachschub bekommt. Für den oben erwähnten Inspiron 8200 gilt das auf jeden Fall. Zahlreiche Händler haben sich auf solche Ersatzteile spezialisiert.
Dann heißt es, Spaß haben. Sich über den 4:3‑Look des Bildschirms freuen und darüber, auch einen kleinen Beitrag für die Umwelt geleistet zu haben.