Das Sammelsurium der kuriosen Feiertage hat so einige Exoten zu bieten. Heute im Angebot: Der Sei-bescheiden-Tag (Be Humble Day). Wie der Name vermuten lässt, steht dieser Tag ganz im Zeichen von Verzicht und Genügsamkeit – einfach mal 24 Stunden lang Minimalist sein. Klingt fast schon wie ein neues Jenke-Experiment. In den USA hingegen wird dieser Tag tatsächlich jedes Jahr am 22. Februar gefeiert.
Bescheidenheit gilt ja bekanntlich als Tugend: Lieber geben als nehmen, die kleinen Dinge im Leben schätzen und sich selbst als nichts Besonderes betrachten. Natürlich entspricht diese Tugend einem längst veralteten Bilderbuch-Ideal und hat mittlerweile nicht mehr denselben Stellenwert. Heute zählen hauptsächlich Status und der eigene Marktwert – und den sollte jeder kennen. Bescheiden sein ist da eher hinderlich. Und wieso sollten wir uns mit weniger zufrieden geben, wenn wir es nicht zwangsläufig müssen?
Verzichten… ist das Kunst oder kann das weg?
Mich macht es immer glücklich meine Liebsten zu beschenken und eine Freude zu bereiten. Das darf auch gern mal etwas mehr kosten. Andererseits gönne ich mir aber auch gerne mal was. Solange es dem Portemonnaie nicht weh tut, fügt es einem selbst auch keinen Schaden zu. Verzichten ist ja auch keine Lösung.
Ich habe mit Bescheidenheit meine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Als Einzelkind bin ich unbeschwert und dadurch sicherlich weniger bescheiden aufgewachsen. Als Teenager wird man dann plötzlich mit einem sogenannten Budget konfrontiert – damals noch das gute alte Taschengeld, heute wahrscheinlich eher PayPal-Guthaben. Damit musste man klarkommen. Geburtstag und Weihnachten sind auch nur einmal im Jahr. Alles andere ist dann Verhandlungssache.
Während des größten Teils meiner 20er hindurch waren Bescheidenheit und ich dann in einer Art On-Off-Zwangsbeziehung. Verkuppelt wurden wir damals von der Berufsausbildung und nach kurzer Trennung sind wir dann durchs Studium wieder zusammen gekommen. Ich nenne es auch retrospektiv „das Jahrzehnt der zweistelligen Gehälter”, in dem am Ende des Geldes oft noch so viel Monat übrig war. Andererseits lernt man dadurch, mit Geld umzugehen und auch mal zu verzichten. Oder zumindest schwere Abstriche zu machen: Eine Woche Sommerurlaub heißt dann vier Monate Shopping-Sperre, das Feiern auf jedes zweite Wochenende zu beschränken und jeglichen Gedanken an ein neues Auto für die nächsten Jahre komplett zu verbannen. Man kann nicht alles haben – zumindest noch nicht. „Es kommen auch andere Zeiten“, denkt man sich und nimmt es einfach hin. Hinnahme ist schließlich auch eine Form von Bescheidenheit.
Keine falsche Bescheidenheit
Bescheiden sein (zu müssen) hat nicht zwangsläufig immer nur etwas mit Geld zu tun, sondern wie man sich selbst wahrnimmt. Mit Anfang zwanzig weiß man noch nicht, was man will oder wo die Reise hingeht. Wirklich was erreicht im Leben hat man auch noch nicht. Also betrachten wir uns aus einer eher bescheidenen Perspektive und präsentieren uns auch so.
Heute, mit Anfang 30, habe ich eine völlig andere Sicht. Man steht mit beiden Beinen im Leben und so langsam weiß man, wer man ist, was man kann und wo man noch hin will. Bescheidenheit ist da völlig kontraproduktiv – sowohl für die Selbstwertschätzung als auch dafür, wie andere uns wahrnehmen. Die finanzielle Unabhängigkeit ist weiterer Bonus: Immobilien werden plötzlich ein Thema, der Zweitürer wird durch einen Sportwagen ersetzt und trotz diverser Auslagen hat man immer noch Budget für persönlichen Luxus wie Urlaub (was nicht bedeutet, dass wir hin und wieder nicht trotzdem mal auf Sparflamme schalten müssen). Es sei uns gegönnt! Schließlich gab es auch Zeiten, da hätte man das schon fast nicht mehr für möglich gehalten.
Ganz ehrlich: Hat man dafür nicht auch Opfer gebracht und sich lange genug mit wenig zufrieden gegeben? Es ist also unser gutes Recht, der Bescheidenheit auch mal den Rücken zuzukehren. Jeder wird in seinem Leben zwangsläufig mal verzichten und sich mit weniger zufrieden geben müssen. Das kommt von ganz alleine – umso weniger ein Grund also, daraus einen Feiertag zu machen, liebe Amis. Öffnet man einem Häftling die Tür, wäre er dumm, wenn er freiwillig hinter Gittern bliebe. Life is short, also gönn dir einfach… auch am Sei-bescheiden-Tag!