Die Bambi-Verleihung ist zwar schon zwei Wochen her, aber manche Auftritte bleiben halt länger im Gespräch. Für mich ist das Sarah Connors Performance ihres Songs Vincent — ihr wisst schon… der Junge, der keinen hoch kriegt, wenn er an Mädchen denkt. Abgesehen von der Tatsache, dass ich dieses Lied absolut feier, hat besonders dieser Auftritt mir in dieser Woche drei Dinge vor Augen geführt…
Als Sarah Connor ihren Song Vincent veröffentlichte, gab es direkt mal wieder einen kleinen Eklat: „Vincent kriegt kein’ hoch, wenn er an Mädchen denkt” lautet die erste Zeile — einige Radiosender wollten den Song nicht spielen. Was für Spießer! Aber Hauptsache, es werden sexistische Songs wie Hamma von Culcha Candela oder Ding von Seed gespielt, in denen Frauen mit Zeilen wie „dicken Booty” oder „Bräute mit Poserausschnitt” objektiviert werden. Dass Mädels für manche Jungs halt von Natur aus eine Erektionsbremse sind, ist dann natürlich Sakrileg. Zugegeben, auch ich habe erst gedacht „Was singt die denn da bitte für ’nen Scheiß?”… aber man sollte ein Lied doch erst einmal im Ganzen hören, um zu verstehen, worum es überhaupt geht. Und das tat ich auch. Das Ende vom Lied? Ich liebte es auf Anhieb.
Wenn man selbst schwul ist, dann assoziieren Leute manche Songs irgendwie direkt mit dir — und das noch nicht mal im negativen Sinne. Meine Familie ist da offenbar keine Ausnahme. Und wie das bei Familienfeiern meistens so ist, werden irgendwann alle möglichen Songs und Videos rausgekramt. Vincent war auch eines davon. Meine ganze Familie ist total angetan von dem Song und auch von Sarah Connors Auftritt — oder vielmehr von der Reaktion im Publikum — während der Bambi-Verleihung Ende November. Ich selbst hatte den Auftritt noch nicht gesehen. Und ich muss sagen, ich war echt begeistert von ihrer Performance, die mir drei Erkenntnisse vor Augen geführt hat..
1. Das Bambi-Publikum ist in zwei Gruppen geteilt — genau wie die Gesellschaft
Wenn ich mir das Bambi-Publikum — das ja zu 90% aus (vermeintlicher) Prominenz besteht — anschaue, dann sehe ich da zwei Sorten von Menschen. Zum Einen die stocksteifen, ich-hab-nen-Stock-im-Arsch-Sorte von Mensch, die, wenn überhaupt, nur solidarisch im Mikromillimeter-Takt mit dem Kopf wippen — da gibt es keine Mimik, keine Gestik, keine Euphorie, keine Anteilnahme… einfach nur die Attitude einer an Asperger erkrankten Steinstatue, die da platziert wurde. Klar, es gibt verschiedene Arten, einen Song zu genießen. Das geht auch still und schweigend. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass eine ganze Schar überkonservativer Menschen dort sitzt, die einfach keinen Bock darauf haben, Solidarität zu zeigen. Solche hoffnungslosen Fälle findet man leider auch in der allgemeinen Gesellschaft immer noch zu häufig.
Zum Anderen gibt es dann aber Leute wie Musiker Rea Garvey, Comedian Chris Tall oder Schauspielerin Stephanie Stumph, die ihre Euphorie für den Song nicht zurückhalten können und einfach mitgehen — sei es singend oder tanzend. Gut, am Ende ergreift Sarah dann die Initiative und schafft es dann doch, den kompletten Saal auf die Beine zu stellen. Aber dann freut man sich dennoch über diejenigen, die es sofort verstanden haben: Sarah Connor setzt mit diesem Song ein Zeichen der Normalität und wie befürwortet man die am besten? Genau… indem man sie feiert.
2. Vergiss Helene — auf Sarah Connor können wir stolz sein
Ich war nie ein riesengroßer Sarah-Connor-Fan. Klar, ich mochte schon früher einige ihrer Songs, die sie damals noch auf englisch gesungen hat. Und mir war auch immer klar, dass sie eine großartige Stimme hat. Auch hatte ich auf dem Schirm, dass sie mal bei der deutschen Ausgabe von X Factor in der Jury saß. Aber das war’s eigentlich auch schon. Erst seitdem sie vor ein paar Jahren angefangen hat, auf deutsch zu singen, hab ich sie quasi wieder „neu entdeckt”. Ihr Song Wie schön du bist hat mich damals ziemlich gepackt — auf deutsch klingt sie einfach nochmal anders, besser, tiefsinniger und weniger kommerziell.
Ihre Texte sind inspirierend und greifbar. Es geht auch mal um Themen über die Schattenseiten des Lebens - nicht alles ist immer in Zuckerwatte gepackt á la Helene Fischer, bei der man von den ganzen Songs über „Fieber spüren” und „Herzbeben” schon regelrecht „atemlos” vor lauter Ödigkeit wird. Auch muss eine Sarah Connor nicht über die Bühne schweben und Luftakrobatik machen — oder überhaupt von Künstlerinnen wie Britney, Madonna oder Kylie „klauen”. Aber da die Mehrzahl des Publikums eh außerhalb der Altersgruppe dieser großen Pop-Diven liegt, fällt der Abklatsch ja nicht auf. La Fischer setzt halt auf Kommerz, Connor darauf, eine starke Message mit ihrer Musik rüber zu bringen.
Bei Sarah merkt man, dass sie sich bei ihren Lyrics viel Mühe gibt und dass sie wirklich Zeit und Gedanken darin investiert. Sie weiß einfach, wie man gefühlvoll und authentisch eine wichtige Message kommuniziert, ohne dabei aufgesetzt oder gar überheblich zu wirken. Im Gegenteil: Ihr ist es sch***egal, ob sie dafür im Radio gespielt wird oder nicht. Sie singt den Song trotzdem mit mehr Enthusiasmus denn je.
3. Vincent ist ein Song, der Kinder und Mütter verbindet
Ein weiterer wichtiger Punkt über den Song Vincent ist, dass er mich und meine Mutter auf eine ganz besondere Art und Weise verbindet. Das liegt natürlich daran, dass im Song „Mama” direkt angesprochen wird — und sich die Mamas dieser Welt davon auch angesprochen fühlen. Als meine Mutter den Song zum ersten Mal im Radio gehört hat, sagte sie zu mir, dass sie Tränen in den Augen hatte. Warum? Weil sie natürlich an ihren Sohn gedacht hat — dem es vielleicht in jüngeren Jahren mal genau so ergangen ist, wie Vincent im Lied.
Es war auch das erste Mal, dass ich meine Mutter hab sagen hören, dass sie stolz darauf ist, dass ihr Sohn schwul ist. Sie hat mich immer unterstützt, ich rede mit ihr auch über alles und gehe seit einigen Jahren überaus offen mit meiner Sexualität um — aber sowas dann zu hören, ist nochmal eine andere Hausnummer. Für die ältere Generation ist es vielleicht immer noch etwas befremdlich, aber Songs wie Vincent öffnen auch den noch so altbackenden Genossinnen und Genossen die Augen und geben ihnen eine neue Perspektive.