Warum der Punk in Japan noch nicht dead ist
Verbeugen nach dem Pogo. Mit dem Bulldozer die Konzerthalle zerlegen oder mit ungewöhnlichen Texten seinen Unmut ausdrücken. Das alles und mehr ist Punkrock in Japan. Es lohnt sich, einen genauen Blick auf die Punkszene und die Geschichte des Punk in Japan zu werfen. Denn hier ist der Punk alles andere als dead.
Ehrlicherweise ist Japan nicht unbedingt das Erste, was uns in den Sinn kommt, wenn wir an Punk denken. Dann eher Großbritannien oder die USA und große Bands wie The Ramones, Sex Pistols oder The Clash. In der gleichen Liga spielen in Japan die The Blue Hearts, eine der erfolgreichsten japanischen Punkbands, die sogar ihren eigenen Stil kreierten, und bis heute noch in zahlreichen Karaokebars mit einigen ihrer Lieder vertreten sind.
The Blue Hearts und der Punk in Japan
1985, also fast 10 Jahre nach den Anfängen des Punk, gründet sich in Japan die Punkband The Blue Hearts. 10 Jahre wühlten sie die japanische Punkszene auf und erspielten sich eine große Bekanntheit – was nicht zuletzt an ihren Texten lag. Dabei ging es weniger um das System und die damit verbundene Unzufriedenheit, sondern vielmehr um Themen wie Friede, Liebe oder Leidenschaft. Die kindliche Naivität mit ihrer direkten und ungefilterten Energie verbindet sich mit einer philosophischen Sichtweise.
Mit ihrem bekanntesten Song „Linda Linda“ erreichten sie schließlich den Höhepunkt ihrer Bekanntheit. Die Ähnlichkeit zu Bands wie den Sex Pistols konnte ihnen nicht abgesprochen werden, obwohl sie auch ihren eigenen Stil entwarfen. Besonders bei Live-Konzerten wurden die unruhigen, nervösen Tanzmoves des Sängers zum Highlight. Eine Besonderheit ist auch, dass sie die meisten Songs auf Japanisch singen.
Die Geschichte des japanischen Punks im Schnelldurchlauf
Ähnlich wie Manga und Anime, war und ist Punk seit den 1970er-Jahren ein wichtiger Bestandteil der japanischen Jugendkultur. Zwei Szenen prägten in Japan die Geschichte des Punks: die Punkszene in Tokyo und die Punkszene in Osaka. Die „normale“ Szene in Tokyo folgte eher dem Vorbild des westlichen Punks, während die „verrückte“ Szene in Osaka seine eigene Dynamik verfolgte – hier erblickte die Musik des Noise Rock das Licht der Welt. Auslöser für die Punkbewegung war auch, wie in anderen Ländern, Frustration und Wort über die soziale Situation – und Punk das Mittel, um seine Unzufriedenheit ungefiltert auszudrücken.
Die „normale“ Punkszene in Tokyo
Ende der 70er-Jahre übernahmen Bands, wie Friction aus Tokyo oder The Stalin aus Fukushima, die Punkszene in Tokyo. In Kombination mit dem postapokalyptischen Actionfilm „Burst City“ erreichte Punk eine größere Bekanntheit – Teil des Films waren auch Bandmitglieder von bekannten Punkbands, wie The Stalin, The Rockers und The Roosters. Dann 1985 stieg die Bekanntheit des Punks nochmal durch die Punkband The Blue Hearts, die mit ihr Album „Pan“ millionenfach verkauften. Im Gegensatz dazu, gab es die Band SS, die als Gegenbewegung mit Hardcore, eine superschnelle Version des Punkrocks spielten.
Das Kontrastprogramm in Osaka
Die eher „verrückte“ Szene in Osaka war komplett anders gestrickt. Die Musik enthielt Elemente von Industrial, Avantgarde und Performance Art. Eine der schillerndsten Figuren aus dieser Zeit war Yamatanka Eye. Seine Band Hanatarash war eher ein Kunstprojekt, als eine klassische Musikgruppe – die Musiker verwendeten für den Industrialsound echte Maschinenwerkzeuge. Die Live-Shows waren teilweise so gefährlich, dass das Publikum Verzichterklärungen unterschreiben musste.
Die verrückteste Aktion von Eye war, mit einem Bulldozer Teile einer Konzerthalle zu zerlegen. Seine Band Hanatarash wurde deshalb der Zugang zu sämtlichen Konzertlocations verweigert. Seine Nachfolgeband Boredoms erreicht mit ihrem Noise Rock internationale Bekanntheit.
Die kuriose Punkszene in Japan
Was unterscheidet eigentlich die japanische Punkszene von anderen? Dazu lohnt es sich, auf ein Konzert von einer japanischen Punkband zu gehen. Die Stimmung ist gleich intensiv und es wird gemosht, gepogt und wild seinen Gefühlen Ausdruck verliehen – mit einem kleinen Unterschied. Einerseits werden Hymnen zum Mitgröhlen abgefeuert, die vom Publikum mit lautstarken Rufen und Mitsingen dankend angenommen werden. Anderseits verbeugen sich manche Künstler:innen zwischen den Stücken und machen ihre Ansagen mit leiser Stimme.
Genauso kurios wird es, wenn Menschen miteinander im Moshpit beim Pogo völlig eskalieren und sich mit windmühl-artigen Bewegungen und Tritten zum Takt der Musik bewegen, um sich aber danach zu verbeugen. Hier spürt man das Aufeinandertreffen von Kultur und Subkultur.
Diese japanischen Bands leben noch heute den Punk
Tokyo Syoki Syodo (seit 2018)
Die vier Frauen von Tokyo Syoki Syodo verbinden in ihrem energetischem Punkrock auch Elemente von anderen Genres und Stilrichtungen, wie J-Pop. Sie singen auf Japanisch. Hört mal in ihren Song „Rock’n’Roll“ rein, da kann man die Energie förmlich spüren und auch dass der Punk nach wie vor lebendig ist.
UNMASK aLIVE
Auch die Band UNMASK aLIVE lohnt sich definitiv anzuhören. Aus Kyoto stammt die Punkrockband und vereint in ihrem energiegeladenen Songs auch Elemente aus Hardcore. Beim Hören ihres Songs „Karma“ kommen einem definitiv Vergleiche zu anderen Größen des Genres in den Sinn.
Chai
Chai ist eigentlich eine japanische Pop-Band, aber bedient sich auch Elementen von Disco-Punk. Die vier Frauen leben deshalb auch die Facetten des Punk. In ihrem Song „Neo Kawaii, K?“ rufen sie zu Body Positivity auf.
Punk's not dead
Der Zenit des Punks ist sicherlich schon längst vorbei, aber auch heute noch ist der Punk lebendig und atmet japanische Luft, Kultur und Kunst. Mit jedem Song, der das Gefühl und die damit verbundene Lebensphilosophie transportiert, lebt der Punk weiter und bleibt auch heute noch ein wichtiger Bestandteil der Jugendkultur in Japan – neben Animes und Mangas.