Schreib mir, wenn du zuhause bist – warum der Fall Sarah Everard uns alle etwas angeht
Es macht unendlich traurig, betroffen und ohnmächtig zu lesen, was der 33-jährigen Sarah Everard passiert ist. Denn es ist ein Fall, der uns vor Augen führt, dass das, was mit Sarah Everard geschehen ist, uns allen passieren kann. Dabei wollte sie einfach nur nach Hause gehen, nachdem sie sich mit einer Freundin getroffen hat. #shewasjustwalkinghome war einer der Hashtags, die in den vergangenen Tagen symbolisch für das standen, was uns alle etwas angeht: Denn Sarah Everard wollte einfach nur nach Hause gehen. Ankommen sollte sie dort nie, denn die junge Frau wurde auf ihrem Heimweg überfallen und getötet. Festgenommen wurden ein Polizist und seine Partnerin. Zwei vollkommen fremde Menschen, die ein Leben genommen und damit viele weitere Leben zerstört haben …
Der Fall Sarah Everard wird diskutiert, debattiert. Und das aus mehreren Gründen. Denn zunächst wirft der Fall die omnipräsente Frage nach der Sicherheit von Frauen* auf. Denn jetzt mal ehrlich: Sind wir nicht alle schon einmal mit unseren Schlüsseln zwischen den Fingern nach Hause gegangen? Oder sind einen Umweg gegangen, um dunkle Wege zu vermeiden? Oder haben das Pfefferspray griffbereit gehalten, weil wir schon den ganzen Weg über das Gefühl hatten, verfolgt zu werden? Es gibt wohl kaum eine Frau*, die eben jene Ängste nicht schon einmal durchleben musste – dabei will sie doch einfach nur nach Hause.
#shewasjustwalkinghome – Der Heimweg gehört auch uns Frauen! Unsere Partner:innen von This is a Fem’s World haben hier ihre Gedanken zu diesem wichtigen Thema aufgeschrieben
Doch der Fall Sarah Everard wirft auch Fragen auf. Denn es gibt allen Ernstes Menschen, die sich inmitten einer solchen Tragödie Fragen wie „War sie betrunken?”, „Was hat sie an dem Abend getragen?” oder „Könnte sie den Täter möglicherweise provoziert haben?” stellen. Fragen, die schockieren. Doch eben diese Fragen zeigen, wie sehr das Thema Victim Blaming in der Denkweise unserer Gesellschaft verankert ist. Denn wird eine Frau überfallen, wird zunächst gefragt, ob sie aufreizende Klamotten getragen hat und den Täter somit ‘herausgefordert’ haben könnte. Was in den Fokus rückt, ist das vermeintliche Verhalten der Frau – nicht das, des Täters.
Der Fall Sarah Everard geht uns alle etwas an. Frauen wie Männer. Männer wie Frauen. Denn es reicht nicht, wenn Frauen sich mit der Angst um ihre Sicherheit alleine auseinandersetzen müssen. Dass Frauen immer wieder durch Situationen gehen, in denen sie sich bedroht, verfolgt, beobachtet fühlen. Was Frauen brauchen, ist das Bewusstsein von Männern, Frauen ein sicheres Gefühl zu geben. Womit wir bei einem zweiten Hashtag wären, der aktuell diskutiert wird: #notallmen. Ganz richtig, längst nicht jeder Mann stellt für Frauen* eine Bedrohung dar. Doch wisst ihr, liebe Männer: Frauen* können nun einmal nicht wissen, wer für sie eine Bedrohung darstellt und wer nicht. Und somit ist es also kein Wunder, dass die Angst hier schlicht und ergreifend überwiegt. Auch wenn ihr eine junge Frau in der U‑Bahn womöglich nur nett anlächelt oder rein zufällig an derselben Station aussteigt wie sie.
Die Angst vieler Frauen hat sie so weit gebracht, dass sie viele Eventualitäten in ihren Alltag einplanen. Oder anders formuliert: Die Angst vieler Frauen hat sie so weit gebracht, dass die Angst zum ständigen Begleiter geworden ist. Straßenseiten werden gewechselt, Schlüsselbunde in der Faust geballt, Fake-Telefonate geführt – um Fremden das Gefühl zu vermitteln, man sei nicht allein. Es werden beleuchtete Wege gegangen, Taxis statt U‑Bahnen genommen, flache Schuhe getragen – um im Fall der Fälle wegrennen zu können.
Es geht nicht darum, was Frauen tun können, damit sie sich endlich sicherer fühlen
Sarah Everard hat auf ihrem Heimweg an ihre Sicherheit gedacht. Hat mit ihrem Freund telefoniert. Hat flache Schuhe getragen. Ist beleuchtete Wege gegangen. Und dennoch wurde sie angegriffen und getötet. Die einzige Frage, die im Fall Sarah Everard also diskutiert werden sollte ist nicht die, was Frauen tun können, um sich sicherer zu fühlen! Nein, die einzige Frage, die im Fall Sarah Everard also diskutiert werden sollte ist die, was Männer tun können, damit Frauen sich endlich sicherer fühlen!