Lange überlege ich, wie ich diesen Artikel über Hip Hop und Drogen beginnen sollte. Sollten es Hard Facts sein zum Thema Drogen oder vielleicht doch lieber eine anekdotische Beobachtung aus meinem Alltag? Wie wäre es mit ein paar schlechten Witzen a la „Urlaub auf Keta” oder „Alle kauen, keiner isst”?

Wenn man sich an ein Thema wagt, das es schon so lange gibt, wie eben die Menschheitsgeschichte, entsteht auch eine gewisse Ehrfurcht. Drogen sind per se nicht schlecht, denn sie haben dazu beigetragen, dass körperliches Leid auch gemindert werden kann. Die Grenzen von Heilmittel und Rauschdroge sind nicht nur in der Medizin sehr schmal, meist sogar gar nicht vorhanden. In meiner Familie gab und gibt es die schlimmsten Krankheiten. Da kann man sich ein Leben ohne medizinische Drogen gar nicht vorstellen, auch wenn der Segen auf der anderen Seite, durch toxische Wechsel- und Nebenwirkungen, zum Fluch wird.

Alle schmeißen, keiner fängt

Durch meinen Job in der Medien- und Musikindustrie sind es eher Konzerte und Partys, auf denen ich die Kollegen treffe, weniger bei Workshops und Heilfastenkuren. Wobei letzteres immer häufiger Thema wird auf diesen Partys. Aber dazu später mehr. Zuletzt war ich bei den Hype-Awards in Berlin. Der erste deutsche Hip-Hop-Award, der laut Nikeata Thompsons Moderation „von uns für uns” ist. Ich war sicherlich nicht die einzige, die sich gefragt hat „Wer ist denn ‘UNS’?”. Wen genau meinte sie damit? Anscheinend war mein Zugehörigkeitsgefühl eher ziemlich low und die fehlende Identifikation mit dem noch so inhaltlich mageren Award machten es auch nicht einfacher. Ich sah nur einen Haufen Menschen, ob Künstler*innen oder Branchen-Leute, die irgendwie versucht haben Spaß zu haben und sich miteinander zu verbinden. Die Aftershow im Haubentaucher war dahingegen lockerer und entspannter. An der verrauchten Bar ist plötzlich wieder jeder in seinem Element und das angekündigte „UNS” ist auf ein Mal wieder präsent. Lautes Lachen, Schulterklopfen, ein „Ey Diggi, was geht” und plötzlich fühlt sich alles wieder heimisch an. Fast alles, denn irgendwie reicht ja Alkohol schon lange nicht mehr aus für einige.

Diggi, zu viel Stress, zu viel Druck, aber alles läuft Baba” sind salonfähige Intros für den gemeinsamen Gang zum Klo. Ich unterhielt mich mit jemandem ein wenig länger vor dem Behinderten-WC (das durch das weiße Pulver den wahren Hype an dem Abend erfahren hat) und war auf eine sehr naive Art und Weise überrascht, wieviele Gäste zu dritt oder zu viert die Toilette aufsuchten. Echte Shitfluencer! Mir fehlte kurz das dörfliche Klischee, dass „Frauen immer gemeinsam auf’s Klo gehen und über Männer und Periode lästern, hihi”. Auch mir wurde sehr freundlich Koks angeboten. Meine höfliches „Nein danke” bereue ich ein wenig, aber wer hält schon Moral-Predigten um drei Uhr Morgens.

Shitfluencer des Grauens

Die Musik- und Medien-Branche macht kein Geheimnis daraus. Ganz besonders in dem sehr populären Genre „Hip Hop und Rap”, sind die Inhalte der Tracks hauptsächlich über stereotypische Gangster-Themen. ‘Koks und Nutten’ ist zum Mallorca des einfachen Rappers geworden. Das Starter-Pack für Straßen-Rap gibt es jetzt abzuholen in jeder guten A&R‑Abteilung aller Major Labels. Als Hip-Hop-DJ freue ich mich natürlich sehr über diese Popularität eines Genres, welches selten in der Musik-Historie die Top-Ten der Charts bestimmt hat. Endlich übernehmen Hussein und Vladislav mal den roten Teppich und das nicht als Lakai der weißen Männer. Dass hierbei Aicha und Fatima von denen noch als Accessoire behandelt werden und „nur Mama die Königin” ist, löst natürlich bei mir immer noch Brechreiz aus, aber das ist ein anderes Thema.

Viele Künstler*innen teilen ihren Erfolg mit der Öffentlichkeit. Die Rolex und das dicke Auto reichen nicht mehr aus für das Musikvideo, der ganze Prunk muss auch unbedingt in den eigenen Instagram-Kanal. Genau wie deren Party-Exzesse mit Drogen und Frauen. Bonez MC ist für mich der Shitfluencer des Grauens. Seine Reichweite ist das eine, das Engagement ist wiederum was ganz anderes. Seine Fans vergöttern ihn und er hat nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag sinnlose Inhalte zu posten. Damit meine ich nicht sein Essen oder seine Erlebnisse, sondern ganz klar die chemische Drogen. Ein 10-jähriger Kevin oder eine 14-jährige Naima denken sich, dass Lean mischen cool ist.

Kein Swag heiligt hier die Mittel

Mit 20 hätte ich mich vielleicht nicht getraut so eine klare Position einzunehmen zum Thema Drogen, da man ganz schnell als Spießer oder Spielverderber verurteilt wird. Nachdem ich aber den menschlichen Abstieg beobachten konnte  bzw. gesehen habe wieviele Menschen auch durch Drogen ihr Leben verloren haben, kann ich das nicht mehr tolerieren. Es geht sogar weiter: Wie kann es sein, dass sogar Menschen, die in der Branche mit diesen Künstler*innen zusammenarbeiten (Manager, A&Rs, CEOs, etc.), das Konsumieren tolerieren? Vergessen wir sogar kurz die Texte der Künstler*innen, die sexistisch, homophob, uvm. sind, sondern konzentrieren wir uns mal kurz darauf, dass fast jeden Tag von den meisten was chemisches konsumiert wird. Was ist aus den guten alten Stickern geworden „Keine Macht den Drogen”? Vielleicht sollte man es modernisieren: Kein Swag heiligt hier die Mittel! Hier ein Achsendiagramm, das noch mal vor Augen führt, wie sinnlos und zerstörerisch Drogen sind. Ich wähle bewusst kein Konjunktiv, denn bei regelmäßiger Einnahme von Drogen, gibt es keine Steigerung der Lebens- oder Leistungsqualität.

Wenn ich mir etwas für die Zukunft wünschen könnte, dann wäre das eine Branche, die nicht wegschaut, wenn jemand ein Drogen-Problem hat. Mir fehlen mehr Menschen, die das Glorifizieren von Drogen nicht tolerieren. Oft sind für den Konsum ganz andere Faktoren vorhanden, die eine sehr besondere Aufmerksamkeit benötigen: Depressionen oder andere psychische Belastungsstörungen können den Konsum verursachen oder verstärken. Falls es gar nicht der Fall ist und jemand nur aus „Spaß” konsumiert, dem möchte ich direkt ’ne Schelle verpassen. Auf der einen Seite besucht jemand die dritte Heilfastenkur oder hat seine Ernährung umgestellt, auf der andern Seite zieht sich Jochen noch mal schnell ’ne Nase, bevor es weitergeht.

Ich disse nicht das Rap-Game, versteht mich nicht falsch. Drogen und Kreativität sind schon immer ein starkes Duo gewesen in jedem Musik-Genre (auch Schlager — siehe Roy Black), aber es gibt genug populäre Beispiele, die auch wunderbar ohne funktionieren. Vielmehr kritisiere ich die Haltung der Musikindustrie. Es mag sein, dass viele Künstler*innen definitiv keine Vorbildfunktion einnehmen wollen, dennoch aber haben die Menschen um sie herum, die diese Kunst eben vertreiben, ein Mindestmaß an Verantwortung. Vielleicht kann kein Mitglied aus dem Team des/der Künstlers/in den Drogenkonsum aufhalten, aber es muss mehr Schutzmöglichkeiten für alle Beteiligten geben.

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